Altersdiskriminierung ist mit voller Wucht in den Arbeitsmarkt zurückgekehrt. Mit Blick auf den angeblichen Fachkräftemangel darf dies durchaus verwundern. Was ist bloß los in Deutschland?
In den letzten eineinhalb Jahren waren die Zeichen der Zeit kaum noch zu übersehen. Deutlich mehr Menschen haben mein Coaching in Anspruch genommen, die selbst zu Beginn der Pandemie deutlich weniger Schwierigkeiten hatten, eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung in dem von ihnen bevorzugten Bereich zu finden. Auch wenn es aktuell (noch) keine eindeutigen statistischen Belege gibt, bin ich mir ziemlich sicher, dass hinter der wachsenden Altersdiskriminierung ein unguter Trend sein Unwesen treibt.
Als Coach habe ich leider keine Möglichkeit, die ungeschriebenen Gesetze des Arbeitsmarkts ändern zu können. Jeder Erwerbstätige muss zuerst bei sich selbst ansetzen: Durch die Wahl realistischer beruflicher Ziele und eine aktive Jobsuche, im überzeugenden Auftreten im Bewerbungsprozess und durch Aufbau wie Pflege des beruflichen Netzwerkes. Hinzu kommen spezielle Themen wie der Umgang mit vermeintlicher Überqualifikation, die Steigerung der örtlichen Mobilität und die Anpassung der Gehaltsvorstellung, die öftes zu hoch als zu niedrig ausfällt.
Der Fachkräftemangel kann so schlimm nicht sein
Doch wenn das alles getan ist und der Erfolg auf sich warten lässt, kann es schnell frustrierend werden. Während Berufsanfänger damit kaum Probleme haben, nimmt als Altersdiskriminierung als strukturelle Benachteiligung stetig zu. Selbst wenn es schon immer so war, dass mit steigendem Alter mehr Bewerbungen geschrieben und Kompromisse eingegangen werden mussten. Neu sind die Widersprüche, die auch ich kaum noch begreife. Schuld daran ist auch der von mir proklamierte angebliche Fachkräftemangel.
Durch ihn sind Arbeitgeber gezwungen, von ihren Idealvorstellungen geeigneter Bewerber Abstand zu nehmen. Denn es werden nicht nur IT-Experten gesucht. Doch so schlimm kann der Fachkräftemangel gar nicht sein, wenn so viele hoch qualifizierte Bewerber über Monate hinweg eine Absage nach der anderen erhalten. Und selbst wenn es die Altersgruppe Ü 55 am härtesten trifft, beginnt das Phänomen der Altersdiskriminierung gerade bei Führungskräften schon zehn Jahre vorher, wenn oft auch schleichend.
Billige Lösungen sind weder wert- noch nachhaltig
Unter der Annahme, dass die Bewerber keine größeren Fehler begehen, stellt sich die Frage: Woran liegt das bloß? Oft ist es meiner Ansicht nach eklatantes Führungsversagen, das den Jugendwahn befeuert. Anstatt nachhaltiger und werthaltiger Lösungen durch die Einstellung routinierter Fachkräfte stellen Arbeitgeber viel häufiger unerfahrene und oder geringer qualifizierte Kandidaten ein. Manchmal geht das gut, meistens aber nicht. Mitunter reiht sich eine Probezeit an die nächste, die Position wird zum Schleudersitz.
Spätestens jetzt reicht Grundschulmathematik aus um zu erkennen, dass die angebliche billige „Lösung“ tatsächlich die kostspieligste ist. Denn erst nach mehreren Monaten, manchmal sogar erst nach einem bis zwei Jahren erreichen neue Mitarbeiter in komplexen Aufgabenbereichen ihre volle Leistungsfähigkeit. Und die sonstigen Kosten einer Fehlbesetzung, vor allem der Verlust von Kunden, sind dabei noch gar nicht eingerechnet.
Das Ende des billigen Geldes verursacht steigenden Kostendruck
Kaum mehr auszuschließen ist der Verdacht, dass viele Führungskräfte einen immer stärkeren Kostendruck verspüren, dem sie unmittelbar begegnen müssen. Ganz nach der Devise Was scheren mich langfristige Kundenbeziehungen, wenn ich die Personalkosten im nächsten Quartal nicht gesenkt bekomme! Wir sehen: Der Fisch stinkt meist vom Kopf her, also von der Ebene der Geschäftsführungen, Vorstände und Gesellschafter (auch wenn ich Fälle kenne, in denen eine Insolvenz unmittelbar abgewendet werden musste).
Dass sich Fälle dieser Art häufen, hat sehr mit dem Ende des billigen Geldes zu tun. Durch den globalen Anstieg der Leitzinsen vor drei Jahren haben sich doch so einige Geschäftsmodelle als leere Versprechen entpuppt. Hinzu kommen die stärker werdenden strukturellen Probleme am Wirtschaftsstandort Deutschland. Sollten diese anhalten, erleben ältere Arbeitnehmer nur als erstes, was uns allen droht: Die Konsequenzen steigender Arbeitslosigkeit, die zwischen Mai 2022 und August 2024 von 4,9% auf 6,1% angestiegen ist. Und eine Trendumkehr ist aktuell nicht in Sicht, eher im Gegenteil: Bis Ende des Jahres erwartet die Bundesagentur für Arbeit doppelt so viele Kurzarbeiter als 2023.
Die Defizite der Führungskräfte im Umgang mit erfahrenen Bewerbern
Doch so leicht möchte ich die Führungskräfte nicht aus ihrer Verantwortung gegenüber älteren Bewerbern entlassen. Denn eine weitere Ursache dürfte die mangelnde Reife und die sich häufenden Defizite in deren Persönlichkeitsentwicklung sein. Anders ist es nicht zu erklären, warum nach gescheiterten Bewerbungen mitunter die Vermutung entsteht, dass ein Team- oder Abteilungsleiter ganz offensichtlich Angst hatte vor einem Kandidaten, der älter und erfahrener ist.
Tatsächlich habe ich kaum Personen kennengelernt, denen ich zugetraut hätte, alsbald am Stuhlbein des neuen Vorgesetzten zu sägen. Das wiederum könnte denen auch klar sein, wenn sie sich mit etwas Feingefühl den Menschen nur etwas genauer anschauten, der ihnen im Vorstellungsgespräch gegenübersitzt. Und selbst wenn Zweifel an der Leistungsfähigkeit aufkämen: Bei Arbeitnehmern, die bei der Einstellung über 52 Jahre alt sind, darf die Gesamtdauer der sachgrundlosen Befristung auf bis zu fünf Jahre erhöht werden. Dies ist neben der Probezeit eine weitere Absicherung gegen ein etwaiges Einstellungsrisiko.
Was Erwerbstätige selbst in der Hand haben
Umgekehrt hilft es keinem von Altersdiskriminierung betroffenen Bewerber, auf das „System“ zu schimpfen und sich sonst in sein Schicksal zu fügen. Oft gibt es einige Stellschrauben, an denen gedreht werden kann, um die individuellen Chancen zu verbessern. Insbesondere empfehle ich,
- im gesamten Berufsleben ein berufliches Netzwerk aufzubauen und zu pflegen, was sich gerade auf der Ziellinie der Karriere auszahlen wird
- sich stetig weiterzubilden – und es ist nie zu spät, damit anzufangen
- im gehobenen Alter niemals vorschnell oder wegen Kleinigkeiten ein Beschäftigungsverhältnis zu kündigen
- sich mit den tatsächlichen Möglichkeiten des Arbeitsmarktes auseinanderzusetzen und kompromissbereiter zu werden
- eine Soloselbständigkeit nicht kategorisch auszuschließen
- eher auf qualitativ hochwertige als quantitativ großzählige Bewerbungen zu setzen
Ganz wichtig sind außerdem: Ausdauer, Beharrlichkeit, Durchhaltevermögen, Frustrationstoleranz und Zuversicht. Gerade dann, wenn es Ihnen besonders schwerfallen sollte, all das zu bewahren.
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