Überqualifiziert zu sein ist kein Luxusproblem. Denn der Vorwurf trifft Erwerbstätigste im Innersten: Die besonderen Kompetenzen und Erfahrungen, die sie erworben haben, stehen ihnen nun vermeintlich im Weg. Doch es gibt Lösungen.
Als Coach habe ich es gerade bei erfahreneren Klienten immer wieder erlebt, wie sehr längere erfolglose Bewerbungsphasen am Selbstwertgefühl nagen. Den meisten sind die Ursachen für die zahlreichen Absagen meist gar nicht klar. Wenn sich aber dann doch einmal ein Arbeitgeber erbarmt und Feedback zur Bewerbung gibt, kann man es inhaltlich oft mit nur einem Wort zusammenfassen: überqualifiziert. Mit dieser Erkenntnis umzugehen ist alles andere als einfach – genauso, wie die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen.
Überforderung auf beiden Seiten
Das Phänomen, angeblich überqualifiziert zu sein, tritt immer dann auf, wenn Arbeitgeber und Erwerbstätige gleichermaßen überfordert sind. Das hört sich hart an, trifft aber den Kern. Beginnen wir mit der Arbeitgeberseite: Einem Bewerber mitzuteilen, man könne ihn nicht einstellen, weil er überqualifiziert sei, ist ein Totschlagargument, wie es billiger kaum sein kann. Fast könnte ich allen sagen, die das hören (müssen): Ignoriert es einfach!
Ursächlich ist dafür vor allem ein Mangel an Phantasie, wie der Bewerber mit seinen besonderen Fähigkeiten in das Unternehmen oder die Organisation eingebunden werden könnte. Im Zeitalter des Fachkräftemangels möge man meinen, dass sich kein Arbeitgeber diesen Luxus überhaupt noch leisten kann. Zumindest sollte die Personalauswahl so professionalisiert sein, dass auch hochqualifizierte Bewerber eine echte Chance erhalten, anstatt sie als überqualifiziert abzukanzeln.
Bewerber müssen Vorurteile antizipieren – und entkräften
Und dieser professionelle Umgang mit diesem Bewerbertypus schließt ein, über die Bedenken, die aufgrund einer hohen Qualifikation bestehen können, offen zu sprechen. Denn die Feststellung, jemand sei überqualifiziert, hängt mit einigen Vorurteilen zusammen, die ein guter Bewerber eigentlich von sich aus vermeiden müsste. Tatsächlich kann es aus Arbeitgeber-Perspektive handfeste Gründe geben, die gegen eine Einstellung sprechen. Damit wären wir bei der Überforderung auf Bewerberseite, die sich mit den folgenden Empfehlungen beseitigen lässt.
Beginnen wir mit den Gehaltserwartungen: Viele Arbeitgeber nehmen zu Recht an, dass qualifizierte Personen adäquat entlohnt werden wollen. Wer nun auf einen Bewerber trifft, der mehr Knowhow bietet, als der Arbeitgeber für die Position benötigt, denkt schnell: Der übersteigt mein Budget. Als Bewerber sollten also Sie von sich aus Ihre konkrete Gehaltsvorstellung bereits in der schriftlichen Bewerbung, z.B. im Anschreiben, benennen, um dieses Vorurteil von vorn heraus auszuschließen. Das bedeutet, dass Ihre Gehaltsvorstellung zur beworbenen Stelle passen muss und nicht zum bisherigen Gehaltsniveau.
Die beworbene Stelle als Teil eines langfristigen Plans darstellen
Das zweite Vorurteil liegt in der Annahme der Unterforderung in der zu besetzenden Stelle. Unterforderung führt zu Langeweile, die zu Frust führt, der wiederum früher oder später in einen Wechselwunsch mündet. Und kein Arbeitgeber hat große Lust, die Stelle bereits nach einem Jahr wieder ausschreiben zu müssen, wenn er eine nachhaltige Lösung anstrebt. Als Bewerber sollten Sie daher aufzeigen, dass Sie abschätzen können, was in der Stelle auf Sie zukommen wird. Um zu vermeiden, als zu anspruchslos und bedingt leistungsfähig zu erscheinen, empfehle ich Ihnen, die beworbene Stelle als Teil eines langfristigen Plans darzustellen.
Das funktioniert immer dann überzeugend, wenn Sie sich in einer neuen Branche bewerben. Dann ist es nachvollziehbar, die Grundlagen in einer etwas einfacheren Stelle zu erlernen, von der aus Sie sich dann weiterentwickeln können. In diesem Zusammenhang ist es aber erforderlich, von sich aus eine ausreichend lange Verweildauer anzubieten. Die sollte in aller Regel bei zwei Jahren liegen, damit der Arbeitgeber Planungssicherheit hat. So vermeiden Sie es auch, dass Ihre Bewerbung als Notlösung betrachtet wird.
Keine Chance, wenn der Job nur eine kurze Zwischenstation sein soll
Das wiederum führt unmittelbar zum dritten Vorurteil: Der Bewerber steckt in einer finanziell angespannten Situation und sucht jetzt irgendetwas. Allerdings wird er sich weiter in seinem Kompetenzbereich bewerben und vielleicht schon in ein paar Monaten kündigen. In der Tat bin auch ich der Meinung, dass Arbeitgeber häufig einen großen Fehler begehen, wenn sie sich auf solche Bewerber einlassen. Umgekehrt sollten sich Bewerber klar darüber werden, dass dies ein enormer Vorbehalt gegen ihre Einstellung ist.
Konsequenter Weise bedeutet das, dass Bewerbern in dieser Frage auf den Zahn gefühlt wird. Wer in einem Vorstellungsgespräch auch nur etwas schwankt, bringt sich um seine Chancen. Es geht also darum, überzeugend darzulegen, warum Sie sich nun ganz bewusst auf dieses Stellenprofil beworben haben. Und warum Sie andere (höhere) berufliche Ziele zumindest im Moment nicht anstreben. Das zu schaffen ist mitunter recht anspruchsvoll und bedarf einer intensiven Vorbereitung.
Größte Hürde: Die Angst des direkten Vorgesetzten
Die vierte Ursache ist gar kein Vorurteil und stellt – da die anderen Punkte zu bewältigen sind – die eigentliche Hürde dar. Wenn ein Bewerber kompetenter wirkt als der direkte Vorgesetzte, setzen bei vielen Führungskräften häufig die Selbstverteidigungsreflexe ein. Das lässt sich auf das reine Lebensalter, den formalen Bildungsgrad und die Berufs- bzw. Branchenerfahrung beziehen.
Als Bewerber dann hören zu müssen, man sei überqualifiziert, bedeutet dann in etwa aus Sicht des Arbeitgebervertreters: Ich habe Angst vor Ihnen. Ich habe Angst um mein Ansehen im Unternehmen. Und daher habe ich Angst um meinen Job. Ich bin emotional und fachlich total überfordert, jemanden mit diesen hohen Qualifikationen einzubinden. Und da ich das niemals zugeben kann, werfe ich Ihnen als Bewerber einfach vor, überqualifiziert zu sein.
Dagegen ist auf Bewerberseite kein Kraut gewachsen. Aber wenn Sie als angeblich überqualifiziert dennoch demnächst eine Chance erhalten sollten, überlegen Sie es sich besser vorher gut, ob Sie mit direkten Vorgesetzten zusammenarbeiten können, die deutlich jünger sind, weniger relevante Erfahrungen im Tätigkeitsbereich mitbringen und oder gegebenenfalls geringer formal gebildet sind. Und die Ihnen gegenüber weisungsbefugt sein werden.
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