Die Spatzen pfeifen schon lange VUCA! von den Dächern. Durch Covid-19 dürfte es auch der letzte gehört haben. Aber noch haben nicht alle wirklich begriffen, was sie uns bringt, die schöne neue VUCA-Welt. Und viel wichtiger noch: Wie begegnen wir ihrer neuen fundamentalen Herausforderungen?
Die Welt ist VUCA, daran kann es keinen Zweifel geben. Vielleicht war sie es schon immer, aber neu ist das hohe Tempo, das Mobilität, die digitale Revolution und weltumspannende Liefer- und Wertschöpfungsketten auf ein schwindelerregendes Ausmaß geschraubt haben. VUCA wurde in den 1990er Jahren beim amerikanischen Militär entwickelt und bedeutet volatility – also Volatilität bzw. Unbeständigkeit –, uncertainty (Unsicherheit), complexity – Komplexität – und ambiguity (Mehrdeutigkeit). Das Akronym wurde damals konkret entwickelt, um die neue Weltordnung nach dem Kalten Krieg zu beschreiben und zu verstehen. Allgemeiner beschreibt der Begriff unsere Welt im Umbruch, in der die Zukunft stets unklar wie offen ist und Prognosen nicht mehr mit Sicherheit möglich sind.
Daher hatte das Militär VUCA schon bald nicht mehr exklusiv. Der Begriff trat seinen Siegeszug in die Managementlehre an, wo er sich auf die schwierigen Rahmenbedingungen in der Unternehmensführung bezieht. Je größer und internationaler ein Unternehmen aufgestellt ist, desto VUCA-ausgesetzter agiert es, muss es agieren. Und was ein Unternehmen als Ganzes betrifft, bezieht sich zwangsläufig auch auf die im Unternehmen tätigen Menschen. VUCA wird zu einem Fakt, der tatsächlich fast jeden von uns betrifft.
Unbeständigkeit als feste Konstante
Beginnen wir bei der Unbeständigkeit (VUCA I): Wer heute Erfolg hat muss viel tun, um morgen auch noch auf der Sonnenseite der Geschäftswelt bzw. des Berufslebens zu stehen. Denn dafür verändert sich zu viel, zu viel gleichzeitig. Wenn auch manchmal unmerklich und eher im Detail, aber in seiner dauerhaften Beständigkeit macht Kleinvieh bekanntlich auch viel Mist. Das beginnt bei politisch-rechtlichen Rahmenbedingungen und gesellschaftlichen Dynamiken, etwa wie die Absicht, den Energiebedarf zukünftig ausschließlich aus regenerativen Quellen decken zu wollen.
Unbeständigkeit wird weiter ausgelöst durch Einzelereignisse wie Naturkatastrophen. Auch wenn sie lokal geschehen, können sie globale Auswirkungen haben, wenn sie etwa ein Angebot reduzieren oder eine Nachfrage erhöhen. Dann verändern sie Preisniveaus und Kalkulationsgrundlagen. Unbeständigkeit geht weiter auf technische Entwicklungen wie etwa der Mobilfunkstandard 5G und andere digitale Innovationen. Sie machen heute etwas möglich, was gestern noch nicht vorstellbar war, z.B. Plattformgeschäfte.
Viele weitere Manifestationen ließen sich noch ergänzen, um Unbeständigkeit als feste Konstante zu begreifen. Doch auch so erkennen wir die Folgen: Die Unbeständigkeit der VUCA-Welt macht es immer wichtiger, Prozesse zu managen. Prozesse dauerhaft anzulegen und nur noch zu überwachen wird vielen von uns kaum noch möglich sein. Wir erkennen außerdem recht schnell, dass eine steigende Anzahl von Einflussfaktoren relevant für unser Geschäftsmodell und unsere tägliche Arbeit wird. Diese Variablen wiederum unterliegen höchst vielschichtigen Kausalmodellen. Kurzum: Die Welt wird immer komplexer (VUCA III).
Unbeständigkeit, Komplexität und Mehrdeutigkeit führt zu Unsicherheit
Eigentlich reicht das schon, aber Mehrdeutigkeit (VUCA IV) setzt noch einen obendrauf. Denn die Einflussfaktoren werden nicht mehr und komplizierter, sie haben oftmals auch keine klar ableitbare Konsequenz. An dieser Stelle hilft es dann nicht mehr, die meine Arbeit beeinflussenden Variablen zu analysieren und reflektieren – sprich: zu verstehen –, um darauf Handlungen aufzubauen. Glücklich dürfen wir uns vielmehr schätzen, wenn wir daraus Handlungsoptionen entwickeln können, die quantitativ beschränkt sind und qualitativ nicht weit voneinander wegliegen.
Unbeständigkeit, Komplexität und Mehrdeutigkeit erzeugen schon fast zwangsläufig Unsicherheit (VUCA II). Dabei dürfte der Einwand, dass Unsicherheit als grundlegendes Prinzip doch wiederum Sicherheit generiert, kaum weiterhelfen. Jedenfalls dann nicht, wenn wir mal wieder nach einer neuen Lösung suchen müssen, weil die von gestern nicht mehr anwendbar ist. Vielmehr betrifft Unsicherheit unsere Einstellung zu den Dingen – wir können uns vielleicht besser auf Unsicherheit einstellen, wenn wir sie als gegeben akzeptieren. Leicht gesagt, schwer getan – gerade in Deutschland, wo das Sicherheitsbedürfnis von jeher stärker ausgeprägt ist als anderswo.
Covid-19 wirkt in diesem Kontext fast schon wie ein Brandbeschleuniger. Denn wir ahnen, dass sich einiges in unserem (Arbeits-)Leben ganz grundsätzlich ändern wird. Veränderung bringt schon fast zwangsläufig Unsicherheit mit sich, da sie hierzulande eher als Bedrohung denn Chance verstanden wird. Da ist Häme allerdings nicht angebracht, und ich kann nachempfinden, dass dies viele Menschen in ihren Grundfesten – den tief sitzenden Überzeugungen und Gewohnheiten – berührt und ihnen unglaublich viel abverlangt.
VUCA neu denken
Da passt es ganz gut, dass VUCA nicht nur das Problem, sondern auch gleichzeitig die Lösung ist. Denn es gibt noch eine zweite Bedeutung, die quasi als Überlebensstrategie in der VUCA-Welt entwickelt wurde. Die alternative Definition lautet vision (Vision), understanding (Verstehen), clarity (Klarheit) und agility (Agilität). Und diese zweite Bedeutung lässt sich eins zu eins auf ihr Pendant anwenden.
Vision ist demnach die Antwort auf Unbeständigkeit (VUCA 1). Wenn sich alles um mich herum rasend schnell verändert, wird es umso wichtiger, einen Kompass zur Hand zu haben. Unternehmensführer und -führerinnen haben die Aufgabe, klar herauszustellen, wofür ihre Firma steht. Das sind Werte oder übergeordnete Ziele, bestenfalls mit einem positiv besetzten gestalterischen Anspruch. Eine Vision ist dann besonders wertvoll, wenn sie bei einer ganzen Belegschaft ein Wir-Gefühl erzeugt. Eine Vision kann aber auch jeder Beschäftigte für sich selbst entwickeln. Das geht in der ganzheitlichen Betrachtung auch in Verbindung mit dem Privatleben. Denn wenn um uns herum beruflich alles unbeständig ist, brauchen wir umso mehr ein stabiles Fundament unserer selbst.
Dass Verstehen Unsicherheit reduziert, liegt auf der Hand (VUCA 2). Es muss daher ein kontinuierlicher Informationsfluss gewährleistet sein, der möglichst umfassend alle relevanten Beteiligten einschließt und einen offenen Austausch ermöglicht. Der Informationsfluss darf also nicht als Einbahnstraße von unten nach oben angelegt sein. Ein funktionierendes Wissensmanagement, Teilnahme an Fachmessen und Produktschulungen, regelmäßige Fort- und Weiterbildungen (gerade zum Erlernen von Schlüsselkompetenzen) und die regelmäßige Lektüre von Fachmagazinen sind noch nie so wichtig gewesen wie heute. Das alles zu gewährleisten ist nicht nur eine zentrale Aufgabe für Führungskräfte, sondern liegt auch in der Eigenverantwortung eines jeden Beschäftigten.
Agilität setzt Vision, Verstehen und Klarheit voraus
Klarheit setzen wir der Komplexität entgegen (VUCA 3). Das betrifft vor allem unsere Kommunikation, gerade dann – aber nicht nur –, wenn sie über kulturelle Grenzen hinweg erfolgt. Unsere Kommunikation sollte immer dann unzweideutig sein, wenn schon alles um uns herum kompliziert genug ist. Häufig kommunizieren Vorgesetzte immer dann unklar, wenn sie selbst keine Klarheit zu einer Herausforderung entwickelt haben. Insofern bezieht sich Klarheit auch auf Mehrdeutigkeit. Darüber hinaus fordert sie aber zusätzlich Transparenz im Handeln gerade auf Seiten der Führungskräfte ein.
Und auf allen Ebenen darf sich ein jeder mal selbst die Frage stellen, ob er oder sie sich überhaupt im Klaren darüber ist, was er/sie jenseits des Hamsterrads in der Karriere erreichen möchte. Machen wir uns nichts vor: Die meisten verdrängen diese Frage, vielleicht weil sie im vornherein befürchten, keine Antwort zu finden. Dabei kann alleine schon die Auseinandersetzung mit ihr wertvolle Erkenntnisse liefern. Mit einem erfahrenen Coach gelingt es meist sogar recht leicht.
Und Agilität soll schlussendlich gegen Mehrdeutigkeit helfen (VUCA 4). Sie ist dann besonders wertvoll, wenn die drei anderen Aspekte – Vision, Verstehen, Klarheit – erfüllt sind. Denn Agilität kann das Beste in einem Mitarbeitenden zur Entfaltung kommen lassen, wenn sowohl die Voraussetzungen als auch die Rahmenbedingungen stimmen. Dafür ist bekanntlich überwiegend das Management verantwortlich. Alle anderen sollten Agilität als etwas Positives begreifen, das uns Raum zu Entfaltung bietet. Natürlich wird dabei einiges von uns verlangt. Daher fällt die Umstellung nicht jedem leicht.
Individuell auf die VUCA-Welt reagieren
Aber haben wir wirklich die Wahl in der VUCA-Welt, die damit verbundenen Herausforderungen etwa nicht anzunehmen? Nichts ist jedenfalls alternativlos. Dennoch glaube ich, dass niemand davon verschont bleiben wird, sich mit den Herausforderungen früher oder später auseinanderzusetzen. Denn es gibt nicht den einen Weg oder die eine Entgegnung. Anstatt dessen bedarf es individueller Antworten, die die Besonderheiten jedes Unternehmens, jeder Führungskraft und jedes Beschäftigten berücksichtigen.
In diesem Sinne heiße ich Sie noch einmal auf das allerherzlichste Willkommen in der VUCA-Welt!
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