Das Impostor-Syndrom erschwert vielen Erwerbstätigen, positiv auf ihre Arbeit zu blicken und Erfolge als solche zu verkaufen. Diese massiven Selbstzweifel können eine Karriere nachhaltig beschädigen – also weg damit!
Fühlen Sie sich manchmal als Hochstapler und kurz davor, als solcher entlarvt zu werden? Denken Sie häufiger, dass Sie mehr Glück als Verstand hatten, um berufliche Aufgaben zufriedenstellend zu lösen und Ziele zu erreichen? Und glauben Sie fest daran, dass Sie das, was Sie bisher erreicht haben, nicht verdient haben? Dann kann es sein, dass Ihnen das Impostor-Syndrom bzw. Hochstapler-Syndrom zusetzt.
Ein typisches Beispiel für das Impostor-Syndrom besteht darin, Stationen des Werdegangs als zufällige Fügung zu begreifen. Oft hat es damit zu tun, dass die neue Stelle über den verdeckten Arbeitsmarkt – also Kontakte – akquiriert wurde anstatt über ein offenes Bewerbungsverfahren. Abgesehen davon, dass schon der Weg zur Stelle nichts mit Glück oder Zufall zu tun hat, wird die Position sehr häufig nicht aus unlauteren Motiven wie Mauschelei, Betrug, Nepotismus oder Korruption vergeben. Nein, in den meisten Fällen ist der neue Mitarbeiter fachlich qualifiziert und persönlich geeignet – und das ist der einzig ausschlaggebende Grund für die Anstellung.
Überforderung als Quasi-Normalität der VUCA-Welt
Überraschender Weise gehen gerade die Ausnahmen davon ohne Impostor-Syndrom durchs Berufsleben. Dabei mutet es schon fast zynisch an, dass diejenigen, die tatsächlich nicht viel Konstruktives zu Stande bringen, oft als völlig schmerzfreie Führungskräfte eine größtmögliche Selbstsicherheit entwickeln. Dabei profitieren sie wesentlich von denjenigen, die wirklich gute Arbeit leisten, die das aber bei sich selbst nicht erkennen (können oder wollen) und unter massiven Selbstzweifeln leiden. Skrupellose Chefs nutzen solche Konstellationen dann auch noch zum eigenen Vorteil aus, anstatt ihre Mitarbeiter zu fördern.
Für deren Perspektive kann ich durchaus Verständnis aufbringen. Wir befinden uns im schnelllebigsten Zeitalter der Menschheitsgeschichte. Es wird zunehmend herausfordernder, mit den stetig neuen technischen Entwicklungen, der wachsenden Komplexität und den rasenden Verändernden schrittzuhalten. Die Welt ist VUCA, und das Gefühl der Überforderung daher nicht weit. Und tatsächlich gelingt es selbst bestens ausgebildeten Erwerbstätigen kaum noch, jede Arbeitssituation vollumfänglich zu lösen.
Der Zusammenhang zwischen Perfektionismus und Impostor-Syndrom
Wer dann noch einen perfektionistischen Hang hat, kann schnell unzufrieden mit sich selbst werden. Daher überrascht es nicht, dass das Impostor-Syndrom zwar geschlechtsunabhängig auftritt, bei Frauen in der Praxis aber häufiger beobachtet wird (ein Zusammenhang mit negativen inneren Glaubenssätzen wie „Ich bin nicht gut genug“ ist für mich naheliegend). Auch Hochschulabsolventen folgen seltener dem Motto Nur so genau wie nötig, nicht so exakt wie möglich. Sicherlich hat das mitunter auch damit zu tun, dass ihnen mangels Erfahrung nicht klar ist, was akzeptable Arbeitsergebnisse im jeweiligen Beschäftigungsverhältnis sind.
Bis auf wenige Ausnahmen kann und darf Perfektion im Berufsleben keinen Platz haben, weil wir sie uns aus Effizienzgründen gar nicht leisten können. Natürlich gibt es Bereiche, die davon ausgenommen sind, weil Sorgfalt, Präzision und Genauigkeit unverzichtbar sind. Doch das bezieht sich nur auf wenige Berufe und Tätigkeiten. In allen anderen gilt es mitunter, die Aufgaben weitgehend zu erledigen oder lediglich Teileziele (von viel zu hochgesteckten Erwartungen) zu erreichen.
Hohe Ergebniserwartungen sind oft nur bei optimalen Arbeitsbedingungen angebracht
Manchmal geht es auch nur darum, lediglich einen größtmöglichen Schaden zu vermeiden. Das mag unbefriedigend klingen, aber das Berufsleben ist nicht dazu da, uns permanent Glücksgefühle zu verschaffen. Gerade wenn Ressourcen – Zeit, Personal, Arbeitsmittel – aus Budgetgründen (zu) knapp bemessen sind geht es darum, das Bestmögliche herauszuholen. Mit anderen Worten: Optimale Arbeitsbedingungen sind oft mehr Wunsch als Wirklichkeit, also sollten wir keine allzu hohen Ergebniserwartungen an uns selbst richten.
Ansprüche an sich selbst grundsätzlich auf die zu leistende Arbeit zu übertragen wäre außerdem anmaßend und egozentrisch. Denn die Ansprüche des Arbeitgebers und seiner Kunden haben Priorität. Sogar in einer Selbständigkeit könnten zu hohe eigene Ansprüche schnell dazu führen, dass Aufwand und Ertrag in ein so eklatantes Missverhältnis geraten, dass die Tätigkeit ineffizient und unrentabel wird. Umso wichtiger ist es, die eigene Unvollkommenheit zu akzeptieren.
Ziehen Sie Kraft aus dem Urvertrauen an Ihre Schlüsselkompetenzen!
Das geht leichter, wenn wir gleichzeitig Kraft aus dem Urvertrauen an die eigenen Schlüsselkompetenzen ziehen. Damit meine ich in erster Linie, sich – wann immer es erforderlich wird – neues Wissen anzueignen, um damit neu auftretende Problem zu lösen. Und das sollten zumindest alle Hochschulabsolventen gelernt haben. Denn deswegen studieren wir – und nicht, um uns Fachwissen anzueignen, das oft nach ein paar Jahren sowieso schon wieder veraltet ist. Wem dieses immens wichtige Bewusstsein noch fehlt, kann es in einer Potentialanalyse mit einem erfahrenen Coach fördern.
Natürlich rennen die meisten von uns damit den Herausforderungen des Berufslebens häufiger hinterher. (Angela Merkel sagte einmal rückblickend, dass sie es als Bundeskanzlerin jeden Tag schaffen musste, vor die Lage zu kommen – also dem Geschehen eben nicht die ganze Zeit hinterher zu hetzen.) Dabei nicht immer ein gutes Gefühl zu haben und sich insgeheim zu fragen, ob man es auch dieses Mal schafft: Das ist völlig normal! Aber daraus abzuleiten, nicht gut genug zu sein und sich in Frage zu stellen, wäre die völlig falsche Schlussfolgerung.
Auch das Pareto-Prinzip kann weiterhelfen
Gegen das Impostor-Syndrom empfehle ich darüber hinaus das Pareto-Prinzip, weil es doch verlässlich oft zutrifft. Es besagt, dass 80 Prozent der Ergebnisse mit 20 Prozent des Gesamtaufwandes erreicht werden. Die verbleibenden 20 Prozent der Ergebnisse erfordern mit 80 Prozent des Gesamtaufwandes die meiste Arbeit. Ich empfehle daher, vier Fünftel der Resultate anzustreben und dann genau zu prüfen, wie relevant das fehlende Fünftel noch ist. Sich ihm zu widmen darf auf keinen Fall Selbstzweck sein.
Mit diesem Grundprinzip durchs Erwerbsleben zu gehen hat nichts mit Hochstapelei zu tun. Sondern auch mit Selbstschutz, da das Impostor-Syndrom viel zu oft in der Selbstausbeutung inklusive Burnout endet. Das bedeutet nicht, in Zukunft die Arbeit nur noch oberflächlich – husch-husch – zu erledigen. Oder Ziele wie Benchmarks und andere Erfolgsindikatoren nur noch als nice to have zu begreifen. Sondern darum, den uns bestimmenden Leistungsgedanken nicht zu verabsolutieren.
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