Ein Quereinstieg wird dann zur Option, wenn der bisherige Bereich keine Perspektiven mehr zu bieten scheint. Wer etwas Mut und große Motivation mitbringt, braucht dann nicht mehr allzu viel zu beachten.

Gründe für einen Quereinstieg können vielseitig sein. Bei manchen ist die Nische, die sie bisher besetzten, weggebrochen. Andere haben das sichere Gefühl, dass es an der Zeit ist, mal etwas anderes zu machen. Und eine dritte Gruppe hat aus der Generalisten-Perspektive den Quereinstieg als wiederkehrendes Karriere-Prinzip für sich entdeckt. Aus welchen Motiven auch immer: Ein Quereinstieg bedeutet zumindest einen teilweisen Bruch mit der bisherigen Erwerbsbiographie.
Es beginnt mit der beruflichen Neuorientierung
Zu Beginn steht meist die berufliche Um- oder Neuorientierung. Erwerbstätige müssen dabei drei wesentliche Aspekte klären: Was kann ich? Was ist mir wichtig? Und was bietet mir der Arbeitsmarkt? Oft steckt die Vermutung dahinter, dass es da draußen noch etwas anderes geben muss, was zu den eigenen Kompetenzen und persönlichen Werten und Motiven passt. Das zu finden ist oft nicht leicht und kann die Zusammenarbeit mit einem erfahrenen Job- und Karrierecoach erforderlich machen.
Idealtypisch lassen sich drei Arten von Quereinstieg nach den beiden zentralen Variablen differenzieren: (1) gleiche Tätigkeit, neue Branche; (2) neue Tätigkeit, gleiche Branche; (3) neue Tätigkeit, neue Branche. Dabei sollte klar sein: Je größer die Entfernung zum bisherigen Job, desto anspruchsvoller wird ein Quereinstieg. Als Coach habe ich es mir daher angewöhnt, in konkreten Fällen zunächst die Varianten eins und zwei zu prüfen, bevor der radikale Ansatz drankommt.
Am Anfang braucht es Mut
Wenn ich dann neue berufliche Optionen mit meinen Kunden entwickele, werde ich manchmal gefragt, ob die überhaupt realistisch sind. In der Tat gibt es Branchen, in denen ein Quereinstieg sehr viel leichter zu realisieren ist als in anderen Sektoren. Gerade in den Bereichen, die vom Fachkräftemangel betroffen sind, suchen Unternehmen mitunter gezielt nach Quereinsteigern. Umgekehrt gibt es Arbeitsfelder, die sich notorisch durch ein Vielfaches an Bewerbern auf wenige verfügbare Positionen auszeichnen. Dort ist ein Quereinstieg deutlich schwerer zu realisieren.
In den meisten Fällen ist es bei einer schriftlichen Bewerbung ausreichend, wenn Kandidaten etwa 70 Prozent der Anforderungen einer Stellenanzeige erfüllen. Sprich, sie bringen einen guten Teil, aber nicht alle der erforderlichen Kenntnisse und Erfahrungen mit. Den Rest lernt der neue Mitarbeiter später sozusagen on the job. Angesichts der enormen Dynamiken, mit denen sich Tätigkeitsbereiche und Anforderungen derzeit ändern, können Arbeitgeber oft auch gar nicht mehr im Traum daran denken, den perfekten Bewerber zu erhalten. Deshalb brauchen Bewerber anfangs etwas Mut, um ihren Hut in Ring zu werfen, sollten aber im weiteren Verlauf ergebnisoffen prüfen, ob der Entwicklungsschritt nicht zu groß wird.
Eine Schlüsselkompetenz öffnet die Tür zum Quereinstieg
Doch es funktioniert recht oft! Ganz wesentlich dafür ist die Schlüsselkompetenz, sich neues Wissen schnell aneignen zu können. Ich behaupte: Jeder, der erfolgreich studiert hat, hat diese fundamentale Fähigkeit entwickelt. Egal was wir studieren: Es ist ein Trainingslager für alles, was beruflich danach kommt. Und das bedeutet, sich selbst das notwendige Verständnis anzueignen, um in komplexen Arbeitssituationen immer wieder neue Probleme lösen zu können. Dieses Wissen lässt sich natürlich auch auf eine neue Tätigkeit oder eine neue Branche anwenden.
Lange Zeit war für viele ein Quereinstieg in Deutschland kaum möglich. Das lag an strukturkonservativen Arbeitgebern, die einen Bewerber oft nur dann als geeignet ansahen, wenn dieser nahezu identische Tätigkeiten woanders bereits mehrere Jahre erfolgreich erledigt hatte. Doch in vielen Branchen mussten Führungskräfte von ihren hohen Rössern absteigen. Der Fachkräftemangel zwingt sie dazu, nicht mehr allzu wählerisch auszusieben. Zu ihrem Glück gezwungen machten sie dann oft auch keine allzu schlechten Erfahrungen mit lernbereiten neuen Mitarbeitern.
Es braucht viel Motivation, die große Herausforderung anzugehen
Außerdem ist der Einstieg bei einem neuen Arbeitgeber stets ein Neuanfang, ungeachtet dessen, was man bisher gemacht hat. Dazu kommt, dass manche Positionen so speziell sind, dass ein Onboarding gar nicht ausreicht, um erfolgreich zu agieren. Ganz im Gegenteil bedarf es manchmal mehrere Monate oder Jahre für eine erfolgreiche Einarbeitung. Wer in solchen Konstellationen ab Tag eins den fertig gebackenen Mitarbeiter erwartet, sollte besser einen kostspieligen Interim Manager engagieren.
Ja, relevante Kenntnisse und Vorerfahrungen sind fast immer ein Vorteil und daher wünschenswert. Aber eben doch nicht so relevant wie die passende Einstellung. Für alle Einsteiger und Umsteiger sind Motivation, Enthusiasmus und Begeisterungsfähigkeit viel wichtiger. Denn auch wenn ich der festen Auffassung bin, dass ein Quereinstieg für die meisten machbar ist, kann ich nicht behaupten, dass er in der Regel auch leicht sein wird – ganz im Gegenteil.
Für einen Quereinstieg sind Opfer zu erbringen
Das betrifft zuallererst die mitunter mühselige Aneignung der notwendigen Fachkenntnisse. Das beginnt nur zu einem minimalen Teil bereits vor dem Vorstellungsgespräch. Oft ist es ein überaus langandauernder Prozess, bis neue Mitarbeiter ein Verständnis ihres neuen Tätigkeitsbereichs oder einer Branche entwickeln. Da praktisch alle Quereinsteiger bereits ab dem ersten Tag in die operativen Prozesse ihres neuen Teams eingebunden sind, bleibt unter Woche nicht viel Zeit, sich dem zu stellen. Nur wer opfert schon sein Wochenende, wenn er nicht im besten Sinne für die neue Chance brennt?
Motivation lässt sich nicht anschalten wie elektrisches Licht – und wer lieber in seinem bisherigen Tätigkeitsbereich geblieben wäre und zum Quereinstieg mehr oder weniger gezwungen wurde, könnte genau daran scheitern. Darüber hinaus kann ein Quereinstieg auch zu einem reduzierten Einkommen führen. Die finanziellen Konsequenzen sollten vorher in jedem Fall berechnet werden – oft muss man sich einen Quereinstieg im wahrsten Sinne des Wortes leisten können. Auch die Frage, auf welcher Position der Quereinstieg vollzogen werden kann, sollte sehr gut überlegt sein.
Radikale Neuanfänge dauern mehrere Jahre
Ein Quereinstieg, der einen vollständigen Neustart darstellt, ist oft nicht durch erfolgreiches Bewerben und einen gelungenen Start beim neuen Arbeitgeber allein zu schaffen. Soll es nicht ein Querabstieg sein und der Anspruch bestehen, weiterhin auf dem Niveau einer Fachkraft oder eines Akademikers zu arbeiten, sind entsprechende Qualifizierungen unverzichtbar. Die Spanne reicht von mehrwöchigen und -monatigen Weiterbildungen bis hin zu einem komplett neuen Studium. Weitere Umwege können durch eingeplante Zwischenstationen entstehen, um für die angestrebte Position wettbewerbsfähig zu werden.
Mitunter kann ein erfolgreicher Quereinstieg mehrere Jahre andauern und sollte mit Zwischenzielen genau geplant werden. Lassen Sie sich davon nicht abschrecken – irgendjemand schrieb mal: „Willst Du neu anfangen? Dann brauchst du nur drei Tools: Mut in der Hose; den Drive, zu lernen wie ein Verrückter; und das verdammte Herz, wenn’s wehtut weiterzumachen. Und hier kommt der Clou: Du hast das alles längst. Also zieh die Schuhe an.“ Dem ist nichts hinzuzufügen.


Schreibe einen Kommentar