Nicht wenige Bewerber gehen angespannt oder sogar nervös in Vorstellungsgespräche. Die Gründe dafür sind vielschichtig und oft zu beheben.
Als Coach gehört es zu einer stetig wiederkehrenden Aufgabe, Bewerbern die Nervosität vor Vorstellungsgesprächen zu nehmen. Viele Kunden können dabei noch nicht einmal erkennen, wo die Quelle dessen liegt. Mangelende Erfahrungen, unzureichende Vorbereitung, Misserfolge wie Enttäuschungen aus vorherigen Gesprächen und ein negatives Selbstbild sind jedenfalls die häufigsten Ursachen.
Ohne eine gute Vorbereitung geht es nicht
Wie so oft im Leben macht der Erfahrungsschatz den zentralen Unterschied auch in Vorstellungsgesprächen aus. In aller Regel wird sich jeder besser vermarkten, der vergleichbare Situationen schon durchlebt hat. Insofern wünsche ich niemandem, zu Beginn eines Bewerbungsprozesses gleich von seinem Wunscharbeitgeber für den (angeblichen) Traumjob eingeladen zu werden. Besser ist es, vorher einige Probedurchläufe unter realistischen Bedingungen zu absolvieren.
Spätestens dann wird jeder Bewerber wissen, dass es ohne eine gute Vorbereitung meist gar nicht geht. Zugegeben, dies gilt nur für komplexe und formale Vorstellungsgespräche – Bewerber auf Helferstellen, Handwerker-Jobs und mitunter auch bei vielen Start-ups nehmen dagegen meist an wenig komplexen Gesprächen teil. Die Vorbereitung umfasst vor allem eine Auseinandersetzung mit wahrscheinlichen Arbeitgeberfragen, die Planung der monologhaften Selbstdarstellung und Überlegung eigener Fragen.
Komplexe Vorstellungsgespräche strategisch planen
Aber nicht nur. Bestenfalls antizipiert ein Bewerber die zentralen Erwartungen und Selektionskriterien und passt daraufhin die Selbstvermarktung individuell an. Häufig ist das erst mit der Unterstützung eines erfahrenen Coaches möglich. Je anspruchsvoller die beworbene Stelle sein wird, desto wichtiger wird dabei eine strategische Planung der Selbstvermarktung. Außerdem sind Unternehmens-, Branchen- und bestenfalls auch Insiderkenntnisse besonders wichtig.
Viele Bewerber, die diese Aspekte in der Vorbereitung berücksichtigen, gehen dann selbstbewusst mit einer gesunden Mischung aus Fokussierung und Gelassenheit in ihre Vorstellungsgespräche. Aber auch denen, die nicht dazugehören, kann geholfen werden. Dazu ist es notwendig, mit drei gängigen wie falschen Glaubenssätzen zu brechen, denen gerade junge Arbeitnehmer und manche Berufsrückkehrer immer noch unterliegen.
Glaubenssatz 1: Der Arbeitgeber wählt den geeigneten Bewerber aus
Zugegeben, es gibt sogar Arbeitgeber, die so denken. Aber weit gefehlt, denn in vielen Branchen können gute Bewerber sich ihre Stelle schon fast selbst aussuchen. Der steigende Fachkräftebedarf macht es möglich, weshalb Coaches sehr gerne auch von einem Arbeitnehmer(arbeits)markt sprechen. Insofern stellt sich der Bewerber bei einem Unternehmen vor und umgekehrt. Beide Parteien begegnen sich auf Augenhöhe, da der Bewerber (noch) nicht Teil der Unternehmenshierarchie ist. Und das bedeutet, dass auch Bewerber Prüfkriterien haben dürfen und haben müssen.
Wer diesen falschen Glaubenssatz allerdings weiterhin zulässt, kommt aus dem Schlamassel meist gar nicht mehr heraus. Denn dann gleicht das Vorstellungsgespräch einer Prüfung mit klar verteilten Rollen. Und die Zusage bedeutet dann, die Prüfung bestanden zu haben – eine Perspektive übrigens, der insbesondere Hochschulabsolventen gerne anhängen. Wenn es denn helfen würde, hätte ich als Coach nichts dagegen. Die Praxis zeigt allerdings, dass viele Arbeitgeber dann doch keine devoten Bewerber einstellen wollen. Und bei allen anderen zeigt die Erfahrung, dass die Stelle alles andere als attraktiv ist, weil sie die devote Haltung tagtäglich erfordert.
Glaubenssatz 2: Das ist eine fantastische Stelle, auf die ich mich beworben habe
Das führt mich unmittelbar zum zweiten Glaubenssatz. Ob die Stelle wirklich fantastisch ist, wissen Arbeitnehmer frühestens dann erst, wenn sie drei Monate in der Position gearbeitet haben. Vorher ist das nicht möglich, denn genauso positiv, wie sich Bewerber beim Arbeitgeber vorstellen, präsentiert dieser die Stelle und das Unternehmen. Die Realität sieht dagegen fast immer anders aus.
Und auch bei Stellen für Sinnsucher, die also beruflich das Klima oder sofort die ganze Welt retten wollen, kann der Arbeitsalltag der renommierten Nichtregierungsorganisation auch mal die Hölle sein. Stichworte: Zu hohe Erwartungen, Überstunden, unkollegiales Arbeitsklima, unzureichende Wertschätzung des Vorgesetzten etc. Daher empfehle ich allen Bewerbern, nicht blauäugig in die Vorstellungsgespräche zu gehen. Es gilt, neben der Motivation immer auch subtil zu erkennen zu geben, nicht um jeden Preis dort arbeiten zu wollen. Und nur schlechte Bewerber müssen alles hinnehmen.
Glaubenssatz 3: Ich will die Stelle unbedingt
Den meisten Lesern dürfte schon klar sein, warum auch dieser Glaubenssatz Bewerber meist in den Abgrund führt. Allen anderen sei gesagt, dass es kaum eine Stelle gibt, die diese Unbedingtheit erfordert und dass es stets auch noch andere attraktive Alternativen gibt. Kaum ein Bewerber ist auf die Stelle angewiesen, auf die er/sie sich gerade bewirbt. Auch Arbeitgeber können argwöhnisch werden, wenn ein Bewerber mit diesem Glaubenssatz im Vorstellungsgespräch zu allerlei Zugeständnissen gebracht wird.
Denn gute Bewerber haben Ansprüche und versuchen, sie mit ausreichend Kompromissbereitschaft durchzusetzen. Schlechte Bewerber lassen sich auf alles ein, sogar auf ein deutlich unterdurchschnittliches Gehalt – Hauptsache, sie bekommen die Stelle. Blieben noch jene Kunden zu erwähnen, die mir trotz allem versicherten, die Stelle nach wie vor unbedingt haben zu wollen. Denen habe ich empfohlen, diesen Gedanken fünf Minuten vor dem Vorstellungsgespräch zu vergessen.
Erfolg ist nicht gleich Zusage
Wer diese drei Glaubenssätze über Bord wirft, wird mit weniger Druck in Vorstellungsgespräche gehen. Denn man hat eigentlich nichts mehr zu verlieren. Daher sind erfolgreiche Vorstellungsgespräche jene, in denen sich Bewerber gewinnbringend präsentiert haben und für sich genügend Anhaltspunkte für die Entscheidung gefunden zu haben, dort arbeiten zu wollen oder nicht. Erfolg bedeutet dagegen nicht, eine Zusage des Arbeitgebers zu erhalten, denn diese Entscheidung liegt in letzter Konsequenz nicht in der Hand des Bewerbers.
Mit einer guten Vorbereitung und einer selbstbewussten Perspektive dürfte es daher kein Problem sein, in Zukunft Vorstellungsgespräche zu meisten.
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