Ein ultimativer Vertrauensbruch setzt vielen Betroffenen schwer zu. Wenn er passiert, sollte jeder seine Optionen kennen und proaktiv handeln.
Bei Julia H. lief der Berufseinstieg phantastisch. Sie hatte ihrem Teamleiter schnell gezeigt, wozu sie imstande ist, der ihr wiederum immer verantwortungsvollere Aufgaben gab. Dazu gehörte auch die Vorbereitung einer Kundenpräsentation, in der sich beide eng abstimmten, um die Vorgaben des Abteilungsleiters umzusetzen. Doch das Kundenmeeting endete abrupt, als der Key Account missbilligend einen völlig neuen Ansatz forderte. Gegenüber der Geschäftsführung waren sich Team- und Abteilungsleiter darin einig, dass Julia H. die Präsentation alleine erstellt habe. Sie konnte einfach nicht das Gegenteil beweisen, da es keine schriftlichen Vorgaben gab und die Präsentation an ihrem Rechner erstellt wurde.
Es war alles soweit abgesprochen: Holger G. verzichtete zugunsten einer Kollegin auf den lukrativen Posten in London, wofür ihm von der Geschäftsführung in einem halben Jahr die Beförderung zum Abteilungsleiter in der Berliner Zentrale versprochen wurde. Ein wichtiger Karriereschritt! Wie immer hatte er sich mit den beiden Chefs per Handschlag geeinigt, denn so war es im Unternehmen üblich und damit waren immer alle gut gefahren. Stutzig machte Holger G. allenfalls, dass die Kommunikation nach drei Monaten zur Geschäftsführung erst abebbte und dann völlig zum Erliegen kam.
Viele Betroffene fühlen sich wehr- und hilflos
Holger G. ist ohne nähere Begründung immer noch nicht befördert worden, was sich deutlich auf seine Motivation auswirkt. Julia H. wurde in der Probezeit gekündigt und war danach mehrere Wochen arbeitsunfähig. Dies sind nur zwei Fälle, die exemplarisch stehen für viele andere, mit denen ich in meinen Coachings bisher zu tun hatte. In einem ähneln sich die Beschreibungen meiner Kundinnen und Kunden fast immer: Im Nachhinein erkenne ich die Anzeichen. Gemeint sind Anzeichen für den ultimativen Vertrauensbruch, für Intrigen, Verrat und Komplotte. Sicher sind private Fälle schwerwiegender, da dort die Emotionen eine noch stärkere Rolle spielen. Dagegen kann es im Berufsleben mitunter existenzbedrohend werden, wenn jemand gezielt zum Sündenbock eines Skandals gemacht wird. Der in den USA wegen seines Beitrags in der Dieselabgasaffäre zu sieben Jahren Haft verurteilte VW-Manager Oliver Schmidt gilt als besonders drastisches Beispiel.
Ein zweites Muster, das ich erkenne, ist die Wehr- und Hilflosigkeit vieler Betroffener. Das Gefühl der Ohnmacht im Moment des ultimativen Vertrauensbruchs ist etwas, was sich in Menschen dauerhaft festsetzen kann. Es wirkt wie eine Betäubung, die physisch und psychisch Spuren hinterlässt. In solchen Momenten ist es extrem wichtig, möglichst schnell wieder aus diesem Stadium herauszukommen. Also das Heft des Handelns wieder in die Hand zu nehmen. Der klassische Soziologe Albert O. Hirschman entwickelte für Unzufriedenheit drei wesentliche (kombinierbare) Optionen, die interessante Handlungsperspektiven auch im Fall des ultimativen Vertrauensbruchs aufzeigen: Exit, Voice and Loyalty.
Exit – Weggehen
Die erste Reaktion vieler von einem Vertrauensbruch im Berufsleben gebeutelter Menschen ist es meist, sich in irgendeiner Art zu entziehen. Ich finde es durchaus nachvollziehbar, dass sich das weidwunde Reh zunächst ins tiefe Dickicht zurückzieht. Wie lange eine solche Phase dauert, hängt von der jeweiligen Persönlichkeit ab: Stunden, Tage, Wochen oder sogar länger. Damit ist Exit aber nicht gemeint. Sondern es geht um die (selbst-)bewusste wie proaktive Entscheidung, die Zusammenarbeit in der bisherigen Form aufzukündigen, wenn das Vertrauensverhältnis unwiederbringlich zerrüttet ist.
Das muss nicht immer heißen, gleich den Arbeitgeber zu verlassen. Gerade in größeren Unternehmen und Organisationen bieten sich mitunter Versetzungen in andere Teams oder Abteilungen an. Das könnte eine gesichtswahrende Lösung sein, selbst wenn damit ein Ortswechsel verbunden ist. Das allerwichtigste dabei ist allerdings, nicht zu gehen als Konsequenz auf einen Vorfall, sondern zu gehen, weil Sie das selbst für sich entschieden haben. Also nicht Getriebener zu sein, sondern autonom Handelnder – gehen erhobenen Hauptes, ohne nachzukarten und ohne Emotionen zu zeigen. Und sich dabei nicht auf den Vorfall zu beziehen, sondern auf das grundsätzliche Betriebsklima und fehlende Perspektiven. Klingt ungemein schwer, ist es auch.
Richtig wegzugehen ist daher fast immer ein kleines Kunststück. Ich empfehle so zu handeln, dass Sie in einigen Jahren stolz darauf sein können, wie souverän, stilvoll und äußerlich unbeeindruckt Sie sich von der Bühne verabschiedet haben. Planen Sie außerdem Ihre Schritte so sorgfältig, dass Sie sich nicht auch noch zusätzlich angreifbar machen, was auch für die nächste Option gilt.
Voice – Kämpfen
Zu den großen Fragen des Erwachsenenlebens gehört jene, ob es sich lohnt, die Stimme gegen das Unrecht zu erheben. Soll ich kämpfen und wenn ja, wie? Das hängt wesentlich von der Struktur und den Rahmenbedingungen des Vertrauensbruchs ab (ich gehe in diesem Beitrag weiterhin davon aus, dass er ultimativ ist). Kämpfe sind meist schwierig zu führen – denn was will man erreichen? Menschen neigen dazu, ohne es sich einzugestehen, Rache an jenen üben zu wollen, die ihnen Unbill zugefügt haben. Rache ist eine der stärksten Antriebsfedern überhaupt, da sie dauerhaft anhalten kann. Doch widerstehen Sie, diesem Trieb zu folgen um allein diesen Trieb zu befriedigen! Denn nur um anderen zu schaden, bringt niemanden weiter.
Daher noch einmal die ganz zentrale Frage: Wofür kämpfe ich da eigentlich? Für Würde und Selbstachtung? Es könnte eher noch viel schlimmer werden, wenn es allein um Ego und Eitelkeit geht. Für eine große Portion Wertschätzung als kleine Entschädigung? Die Erfahrung lehrt, dass Wertschätzung im Berufsleben ein seltenes Gut und schwer erhältlich ist. Daher könnte es sein, dass die Kämpfe auf rein rechtlichem Terrain am besten aufgehoben sind, sofern es eine justiziable Dimension gibt. Das bedeutet auch, nicht selbst in den Ring zu steigen, sondern einen Anwalt für sich kämpfen zu lassen. Denn in der Juristerei sind Emotionen fehl am Platz, und ein ultimativer Vertrauensbruch schüttet Unmengen davon aus. Außerdem könnten Voice und Exit sich einander bedingen, also der Weggang in ein anderes Team könnte vorab einen Kampf erforderlich machen.
Wer erfolgreich kämpfen möchte, sollte sich rechtzeitig wappnen. Im Idealfall haben Sie die eine E-Mail ausgedruckt und mit nach Hause genommen, mit der Sie die Oberhand gewinnen. Mit einer E-Mail, durch die Sie einer Kündigung oder sogar der Strafverfolgung entgehen. In der klar wird, dass Sie auf Anweisung gehandelt haben oder durch die Sie beweisen, dass Sie Ihren Vorgesetzten rechtzeitig auf ein Problem hingewiesen haben. Mit anderen Worten: Es ist gut, wenn andere Fehler machen, wenn Sie sie zum Selbstschutz nutzen können.
Loyalty – Fügen
Wer zum Kämpfen zu schwach und zum Weggehen nicht mutig genug ist, dem bleibt auch bei einem ultimativen Vertrauensbruch nur, sich zu fügen. Zu schwach zu sein kann bedeuten, dass Sie so sehr in die Defensive geraten sind, dass Ihnen jeglicher Handlungsspielraum genommen ist. Fügen bedeutet also, sich zu unterwerfen – eine Geste, die im Tierreich oftmals Leben rettet. Bedeutet außerdem, sich mit etwas abzufinden, selbst wenn es schreiend ungerecht ist. Vorteilhaft sind dabei meist eine devote Persönlichkeit, Fatalismus und eine gewisse Gleichgültigkeit gegenüber den Dingen im Allgemeinen. Wem das abgeht, hat es jedenfalls deutlich schwerer.
Sich zu fügen kann aber auch eine rationale Antwort sein. Mitunter wird Sündenböcken ein zukünftiges Comeback in Aussicht gestellt, wenn sie den schwarzen Peter nicht mehr weiterreichen. Das ist im Vergleich zum externen Weggehen immer noch besser, gerade wenn damit enorme Gehaltseinbußen oder der Verlust von Rentenansprüchen vermieden werden. Diese Abstiegsängste sind bewährte Druckmittel, die Arbeitgeber gerne zur subtilen Disziplinierung ihrer Mitarbeiter einsetzen. Nur wer sich davon – inklusive Einzelbüro, Firmenwagen und vermeintliches Renommee durch öffentliche Anerkennung – frei macht, ist am ehesten davor geschützt, sich unfreiwillig fügen zu müssen.
Und selbst wenn, auch fügen will gelernt sein, da der eingangs formulierte Anspruch proaktiven Handelns für den Betroffenen weiterhin besteht. Schließlich muss es darum gehen, eine neue Grundlage nach dem Vertrauensbruch aufzubauen. Außerdem bedarf es einer selbstkritischen Auseinandersetzung mit eigenen Fehlern. Gerade bei Fragen, was man selbst anders machen muss, um sich zukünftig am Arbeitsplatz besser zu behaupten kann ein begleitendes Coaching hilfreich sein.
Vertrauensvorschuss bleibt unabdingbar
Vielleicht erkennen Sie, dass kaum eine der hier genannten Optionen die perfekte Entgegnung auf einen Vetrauensbruch darstellt. Meist geht es nur darum, den entstandenen Schaden zu minimieren und selbst wieder auf die Beine zu kommen. Das Problem besteht auch sicher darin, dass wir aus solchen Vorfällen zwar lernen, aber nur in seltenen Fällen so aus dem Wissen schöpfen können, dass wir für zukünftige Fälle gewappnet sind. Denn eine gewisse Vertrauensbasis wird immer nötig sein, um miteinander zu arbeiten. Und die ist oft nur erhältlich, wenn Sie einen Vorschuss gewähren.
Zum Abschluss ein persönlicher Rat: Selbst wer den ultimativen Vertrauensbruch schon mehr als einmal erlebt hat, sollte nicht abstumpfen oder sich zurückziehen. Besser ist es, weiter offen und vorbehaltslos an andere Menschen heranzutreten, was nicht bedeutet, naiv und gutgläubig zu sein. Erwarten Sie von anderen nicht zu viel, was gerade Berufsanfänger häufig schmerzlich lernen müssen. Und prüfen Sie Ihre Handlungsoptionen ganz genau, wenn Sie das Gefühl haben, dass Sie durch Ihr Vertrauen zu sehr in die Abhängigkeit anderer geraten.
Es ist und bleibt ein Balanceakt. Aber wir können an einem Vertrauensbruch auch wachsen.
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