Agil sollt ihr sein! Dieser Gassenhauer dürfte den meisten Führungskräften bereits bestens bekannt sein. Doch die Umsetzung ist anspruchsvoll, schließlich läuft das Konzept auf ein ganz neues Organisations- und Führungsverständnis hinaus.
Wie könnt es auch anders sein: Neuentdeckt wurde das Konzept der agilen Führung in der Softwareentwicklung kalifornischer Tech-Unternehmen. Ursprünglich bezog es sich auf die Führung sich selbstorganisierender Entwicklungsteams. Denn in diesem Umfeld waren die bisherigen Strukturen und Prozesse längst nicht mehr geeignet, zufriedenstellende Ergebnisse zu produzieren. Mittlerweile wird der Begriff der agilen Führung allgemeiner verwendet: Er wird zu einem Ansatz für die Führung von Menschen und Teams, der auf die Steigerung der Anpassungsfähigkeit in hochdynamischen und komplexen Geschäftsumgebungen ausgerichtet ist.
Agilität soll selbstorganisierte Teams ermöglichen
Da die Komplexität zunimmt, müssen Organisationen (Unternehmen) in der Lage sein, schnell zu reagieren und Entscheidungen in einem uneindeutigen Umfeld mit zunehmenden Unsicherheiten zu treffen. Gerade in solchen Situationen entpuppen sich traditionelles Management und hierarchische Führung oft als zu langsam. Die agile Führungspraxis setzt genau dort an: Sie fördert die Befähigung von Einzelpersonen und Teams, eigene Entscheidungen zu treffen. Durch eine Neuausrichtung der Verantwortlichkeit und der Entscheidungsfindung erhalten Teams die Möglichkeit, schneller auf Veränderungen und Komplexität zu reagieren.
Man mag es kaum glauben, aber historischer Vorreiter dieses Prinzips waren die deutschen Streitkräfte im 19. Jahrhundert. Dass gerade ein System bestehend aus starken Hierarchien, Befehl und Gehorsam die Auftragstaktik erfand, zeigt deutlich die Ineffizienz längerer Entscheidungsketten. Zumal am Ende Personen in Führungspositionen entscheiden sollen, die vom wirklichen Geschehen am weitesten weg sind. Insofern gilt Helmuth von Moltke (1800-1891) als Urvater des agilen Managements, das 1906 mit Eingang in die Heeresdienstvorschrift des Deutschen Reiches auch institutionalisiert wurde.
Agilität als Antwort auf die Herausforderungen der VUCA-Welt
Rund 80 Jahre später waren es wieder Militärs – dieses Mal in den USA –, die mit der Erfindung des Konzepts der VUCA-Welt postulierten, dass die Welt immer unbeständiger (volatile) unsicherer (uncertain), komplexer (complex) und mehrdeutiger (ambiguous) wird. Dieser Ansatz fand dann zügig seinen Weg in die Management Schools der führenden Universitäten, weil er anschaulich machte, worin die besonderen Herausforderungen einer globalisierten Welt mit enormer technischer Innovationskraft und permanentem Anpassungsdruck liegen.
Ich habe bereits an dieser Stelle erläutert, wie es gelingen kann, mit Vision der Unbeständigkeit zu begegnen, wie Verstehen als Prinzip Unsicherheit reduziert und Klarheit dabei helfen soll, Komplexität zu reduzieren. Dass Agilität der Mehrdeutigkeit entgegengesetzt wird, ist dabei kein Zufall: Agile Führung kann nur im Kontext der VUCA-Welt verstanden werden.
Die besondere Verantwortung der Leitungsebene
Agilität, also Beweglichkeit oder Wendigkeit, kommt dann zur vollen Entfaltung, wenn die drei anderen Aspekte – Vision, Verstehen, Klarheit – weitgehend erfüllt sind. Agilität kann das Beste in einem Mitarbeiter zur Entfaltung kommen lassen, wenn sowohl die Voraussetzungen als auch die Rahmenbedingungen stimmen. Und für optimale Rahmenbedingungen ist bekanntlich die Leitungsebene – und weniger das mittlere Management – verantwortlich.
Agile Führung ist also ein Instrument, um Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit der eigenen Organisation zu erhalten bzw. zu steigern. Wenn beides ausreichend ist, kann es sehr gut sein, dass agile Führung nicht erforderlich ist. Allerdings deutet die Quintessenz aus Digitalisierung, Automatisierung und künstlicher Intelligenz für (fast) alle Akademiker, Fach- und Führungskräfte auf das glatte Gegenteil hin. Auch die Erwartungen jüngerer Generationen an die Arbeitswelt – wie angemessen oder übertrieben sie auch seien mögen – sprechen eher gegen den Fortbestand traditioneller Führung.
Agilität braucht den partizipativen Führungsstil
Führungskräfte stehen kurzum vor ganz neuen Herausforderungen, die so fundamental sind, dass sie sogar ihr Selbstverständnis hinterfragen. Wer agil führen möchte muss sich zum Coach und Unterstützer wandeln, um das passende Umfeld für selbstverwaltete Teams zu schaffen. Nach Kurt Levin bedeutet dies, dass der autoritäre Führungsstil überhaupt nicht zur Agilität passt und selbst der kooperative Führungsstil schnell an seine Grenzen gerät.
Doch für den partizipativen Führungsstil, der wie gemacht scheint für agile Führung, bedarf es gewisser Voraussetzungen bei den Mitarbeitern. Wesentlich ist erstens vor allem eine ausgeprägte fachlich-methodische Befähigung, meist im Kontext einer guten Formalbildung und hinreichend praktischer Erfahrung. Nur dadurch kann sichergestellt sein, dass die handelnden Personen im Team nicht überfordert sind, wenn sie sich selbst organisieren sollen. Zweitens bedarf es einer ausreichenden intrinsischen Motivation, um das gemeinsame Ziel zu erreichen.
Teams, die hauptsächlich aus Mitarbeitern bestehen, denen die Befähigung fehlt, sich selbst zu organisieren, können (noch) nicht agil geführt werden. Gleiches gilt, wenn sie nur bei regelmäßiger Kontrolle und effektiven Sanktionsmöglichkeiten aktiv sind. Insofern ist agile Führung kein Allheilmittel für sämtliche Herausforderungen der Arbeitswelt. Sondern sie konzentriert sich auf Bereiche, in denen kluge Köpfe in einem komplexen Umfeld hochgesteckte Ziele erreichen sollen.
Im zweiten Teil lesen Sie, wie Sie Agilität in Ihrer Organisation fördern können und welche Führungsprinzipien dafür erforderlich sind.
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